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Festival

Ein

modernes

Märchen

PICTURE A DAY LIKE THIS von George Benjamin


Bewertung:    



Picture a day like this ist eine Fabel und auch ein Märchen. Es zeigt eine junge Frau, die ihr kleines Kind verloren hat. In ihrem Kummer über den Tod des Sohnes erscheint ihr eine übergeordnete Macht, welche ihr ein Wunder verspricht: wenn sie innerhalb von 24 Stunden einen glücklichen Menschen findet und einen Knopf seines Hemdes bekommen kann, wird sie ihren Sohn wiederbekommen. Wie in einem von Grimms Märchen zieht sie aus und trifft auf die verschiedenartigsten Menschen und Situationen: ein Liebespaar im Doppelbett, einen mittelalten Herrn in seiner Kunstsammlung, eine im Jetset gefangenen Komponistin, einen aussortierten Fabrikarbeiter und das Fabelwesen Zabelle in ihrem Zaubergarten.

Klassische Oper lebt von einfachen Geschichten, und George Benjamin und sein Librettist Martin Crimp sehen sich in dieser Tradition. Picture a day like this ist ein Märchen. Die Geschichte, von der das Drama erzählt, könnte in unserer Realität nicht stattfinden. Und doch sind die Figuren aus unserer Lebenswirklichkeit, sprechen unsere Sprache und haben unsere Sorgen. George Benjamin sagt im Interview des Programmheftes: "Dieser Mangel Realismus ist für mich als Komponist sehr wichtig. Er ermöglicht mir den Weg ins Unwirkliche der Musik. Die magischen Komponenten eröffnen mir viele kompositorische Möglichkeiten."

Und Picture a day like this ist auch eine Fabel. Am Ende ihres Weges erkennt die junge Frau, dass sie sich nur selbst helfen kann. In diesem Sinn eine sehr moderne Fabel: konstruieren kann man sich die und seine Realität am Ende nur selbst.

*

Benjamins Musik zu seiner neuen Oper generiert aus der knapp gehaltenen Besetzung einen Farbenreichtum, der richtig Spaß macht. Der subtile, sehr transparente Orchesterpart ist fokussiert auf die menschliche Stimme und somit auf die im Text innewohnenden Magie des Stoffes. Die Partitur lebt vom Kontrast, eines auf der einen Seite engmaschigen Orchestersatzes und der immer wieder aufflackernden Soloparts. Gedämpfte Trompeten und eine Posaune sind das Motiv des Märchens, immer wenn die Frau die Liste ihrer Stationen liest. Die Atmosphäre der Trauer schimmert durch das Fagott.

Marianne Crebassa in der anspruchsvollen Rolle der trauernden und doch immer hoffenden Frau leistet Großartiges. Die Stimme der Mezzosopranistin ist reich und gleichzeitig schwebend. Von leichten Tiefen über warme Mittellagen bis zu schillernden Höhen, nahezu mühelos findet sie sich in der Partitur zurecht. Die Regie von Daniel Jeanneteau und Marie-Christine Soma hat dem emphatischen Temperament der Sängerin einen kühlen Rahmen mit einer an drei Seiten metallisch verspiegelten Bühne gegeben. Die verschiedenen Settings ihrer Reise fahren lautlos aus den Wänden raus und rein. Die Sopranistin Beate Mordal wandelt sich stimmlich und szenisch wunderbar von der unterlegenen Liebhaberin in die vor Arroganz strotzende Komponistin. Der Countertenor Cameron Shahbazi, in der ersten Szene der frivole und suffiziente Liebhaber, mutiert fast slapstickartig zum devoten Assistenten der Komponistin. Bariton John Brancy kann mit seiner mühelos geführten Stimme, die bis hinauf in Althöhen trägt, die Verwandlung vom Fabrikarbeiter zum Kunstsammler überzeugen. Anna Prohaskas Sopran zaubert in einem herrlichen Paradiesgarten mit realen und erfundenen Pflanzen und Blumen. Für Zabelle hat der Video-Künstler Hicham Berrada eine faszinierende Pflanzenwelt mit sich bewegenden Formen und Farben geschaffen. Eine wunderbare Arbeit, welche sich überraschend auf einem semitransparenten Vorhang entfaltet, hinter der die junge Frau und Zabelle sich begegnen.

George Benjamin steht selbst am Pult des Mahler Chamber Orchestra und führt das exzellent agierende Ensemble sicher, jeder Takt, jede Note sitzt auf dem Punk. Wieder hat der Komponist ein sehr modernes und gleichzeitig emphatisch – sinnliches Stück Musiktheater abgeliefert. Der kürzlich mit dem Ernst-von-Siemens-Musikpreis ausgezeichnete Komponist schafft es wie wenige lebende Komponisten Moderne mit Tradition zu verbinden. Damit spricht er die Sinnlichkeit, die Erinnerungen und die Neugier auf Neues seines Publikums gleichzeitig an und schafft es damit immer mehr auf die Spielpläne der großen Konzert- und Opernhäuser unserer Zeit.



Picture a day like this von George Benjamin beim Festival d’Aix-en-Provence
Foto (C) Jean Louis Fernandez

Steffen Kühn - 10. Juli 2023
ID 14284
PICTURE A DAY LIKE THIS (Théâtre du Jeu de Paume, 08.07.2023)
von George Benjamin (Musik) und Martin Crimp (Text)

Musikalische Leitung: Sir George Benjamin
Regie, Bühne, Licht und Dramaturgie: Daniel Jeanneteau und Marie-Christine Soma
Kostüme: Marie La Rocca
Video: Hicham Berrada
Besetzung:
Junge Frau ... Marianne Crebassa
Zabelle ... Anna Prohaska
Liebhaberin/ Komponistin ... Beate Mordal
Liebhaber/Assistent Komponistin ... Cameron Shahbazi
Arbeiter / Kunstsammler ... John Brancy
Schauspieler ... Lisa Grandmottet, Eulalie Rambaud und Matthieu Baquey
Mahler Chamber Orchestra
Premiere beim Festival d’Aix-en-Provence: 7. Juli 2023


Weitere Infos siehe auch: https://festival-aix.com/fr


Post an Steffen Kühn

http://www.hofklang.de

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